Wenn Worte nicht nur Worte wären, Herr Scholz

Der Erste Bürgermeister schrieb nun also ein Buch. Hieraus zitiert das Hamburger Abendblatt am 16.03.2017 einige Passagen, die sich auf die Unterbringung von Flüchtlingen beziehen. Es heißt:

„Einige Nachbarn reagieren aber auch skeptisch, sie fürchten um die Stimmung in ihrem Ortsteil, um den Wert ihrer Grundstücke oder wollen ganz einfach keine Migranten in ihrer unmittelbaren Umgebung wohnen haben. Sie organisieren Bürgerproteste oder strengen Gerichtsprozesse gegen den Bau von Unterkünften an oder sie initiierenVolksentscheide. Das muss niemanden erschrecken und gehört zu den Begleiterscheinungen solch plötzlicher Veränderungen des Gewohnten. Damit muss der demokratische Staat gelassen und souverän umgehen.“


Auf all diejenigen, die sich seit dem Herbst 2015 dafür einsetzen, dass in ihrem Stadtteil und auch hamburgweit die Integration der Flüchtlinge möglichst gelingt – wirken diese Sätze wahrscheinlich enttäuschend. Müssen Politiker so handeln? Vielmehr: Müssen sie sich in der Öffentlichkeit so darstellen? Glauben sie, dass es nur einer guten Rhetorik bedarf, um Wählerstimmen zu gewinnen?

 

Herbst 2015 – Rot-Grün wollte Großunterkünfte bauen

Herr Scholz entschied zusammen mit der Bürgerschaft, dass Großsiedlungen nur für Flüchtlinge gebaut werden sollen. Großsiedlungen, in denen bis zu 4.000 Flüchtlinge isoliert unter sich bleiben würden. Man hätte denken können: Wenn die Not so groß ist, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt – dann muss man vielleicht so handeln. Auch, wenn man ein kluger Politiker ist, der sich bessere Gedanken machen könnte. Wenn die Not so groß ist.

Doch, was uns wunderte – andere Möglichkeiten wurden damals überhaupt nicht gesucht! Es wurden keine Alternativen einer kleinteiligen Unterbringung geprüft.

Und was uns auch wunderte – die Flüchtlingszahlen, von denen Hamburg bis Mitte 2016 rechnerisch ausgehen wollte, deckten sich nicht annähernd mit den tatsächlichen Ankunftszahlen. Die Stadt rechnete mit 3000 Flüchtlingen pro Monat für das gesamte Jahr 2016. Im Schnitt waren es aber nur 600 Menschen.

Wohnungen mussten natürlich dennoch gebaut werden, klar! Auch für Hamburger, die eine Wohnung brauchten. Das war nichts Neues für die Stadt. Warum also nicht für Hamburger und Flüchtlinge gemeinsam bauen? Dafür gab es keinen Grund. Und Großunterkünfte nur für Flüchtlinge, brauchte kein Mensch.

 

Der Verlauf der Geschichte ist bekannt

Überall in der Stadt gründeten sich Bürgerinitiativen, die sich schließlich hamburgweit zu einem Dachverband zusammenschlossen, „Initiativen für erfolgreiche Integration“. Gemeinsam forderten sie, dass die Integration der Flüchtlinge im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen sollte. Und 26.000 Hamburger forderten den Senat – also auch Olaf Scholz – zum Umdenken auf.

Es kam zu Gesprächen, vielen aufreibenden aber schließlich auch konstruktiven Gesprächen und dann zu einer relativ guten Einigung. Die Grundsatzentscheidung war gefallen – Flüchtlingsunterkünfte sollten überall in Hamburg und deutlich kleiner realisiert werden. Integration von Anfang an.

Herr Scholz sagte damals, im Sommer 2016, dem Abendblatt:

„Ja, das ist meine Überzeugung. Wir folgen einem in der Vergangenheit erfolgreichem Muster: Wir treffen Vereinbarungen. Das führt zu Rationalität auf beiden Seiten. Im konkreten Fall geht es darum, die Aufnahme, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen gemeinsam zu organisieren. Die Vereinbarungen leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass wir dieser Aufgabe gerecht werden können. Und sie versetzen uns in die Lage, flexibel zu reagieren, ganz gleich, ob weniger oder mehr Flüchtlinge kommen als bisher.“

 

Der Bürgermeister selbst hatte die Bürgerverträge persönlich unterschrieben. Und im Abendblatt lobte er diese Einigung:

"Es ist gut, dass es eine Verständigung gibt", lobte Bürgermeister Olaf Scholz die Einigung am Dienstag. Mit dieser Einigung sei klar, dass die Stadt die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen als eine gemeinsame Anstrengung begreife. "Alle sind sich darüber einig, dass die Stadt ihre gesetzlichen Verpflichtungen weiterhin erfüllen muss." Darüber hinaus sei klar geworden, dass Hamburg seine ehrgeizigen Ziele im Wohnungsbau weiter umsetzen müsse, so Scholz weiter. "Nur so kann die ohnehin hohe Wohnungsnachfrage in Hamburg befriedigt werden und zugleich eine ordentliche Unterbringung für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive gelingen."

 

Das alles klang vernünftig. Auch so, dass die Bürger wieder in die Politik des Ersten Bürgermeisters vertrauen konnten.

 

 

Es gab einen Konsens: Verständnis auf beiden Seiten

 

Es gab den Willen, die Bürgerverträge umzusetzen, um möglichst gute Bedingungen für die Integration der Flüchtlinge zu realisieren.

 

Und heute? Sehen wir, dass die Bürgerinitiativen sich erneut dafür abmühen müssen, dass diese getroffenen Vereinbarungen überhaupt angegangen und umgesetzt werden. Dass Verträge eingehalten werden, ist eine Selbstverständlichkeit, müsste man meinen.

 

Wenn Worte nicht nur Worte wären!

 

Für das i-Tüpfelchen sorgt dann Herr Scholz selbst, indem er fast abfällig über die Hamburger schreibt, die sich damals für eine bessere, integrationsfreundliche Hamburger Politik stark gemacht haben.

Er unterstellt ihnen nun, dass es ihnen nur um die Stimmung im Ortsteil oder um ihre Grundstückswerte ging.

 

Herr Bürgermeister, an diesem Punkt waren wir doch schon! Damals, als wir die ersten waren, die sich dafür engagiert hatten, dass die Flüchtlinge nicht nur in Großunterkünften untergebracht werden – sondern mitten unter Hamburgern Wohnraum erhalten und von Anfang an integriert werden.

 

Es ist fast schade, dass Sie sich heute nicht mehr daran erinnern, dass diese Bürger, die eine Volksinitiative initiiert hatten – ein großes, gemeinsames Ziel mit Ihnen teilten und vielleicht immer noch teilen: Die erfolgreiche Integration.

 

 

Andere Städte haben Fehler gemacht?

 

Immerhin haben Sie heute erkannt, dass andere Städte den Fehler gemacht haben, den Sie – ohne unseren Protest – auch gemacht hätten.

 

Sie wollten, dass Siedlungen am Stadtrand für bis zu 4.000 Flüchtlinge gebaut werden – ohne, dass ein einziger Hamburger unter ihnen gewesen wäre. Und Ghettoisierung beginnt schließlich nicht erst bei Trabantenstädten, die Forschungsergebnisse kennen Sie. Die Bürgerinitiativen wiesen Sie hierauf hin.

 

Wir verstehen, dass Sie gerne unkritisch auf die vergangenen Monate zurückblicken und auch lieber Negativbeispiele zum Vergleich heranziehen als etwa positive. Aber ist Ihnen auch bekannt, dass es Städte gibt, die von Anfang nicht auf Großunterkünfte gesetzt haben – sondern auf eine kleine, dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge? München z.B. ging hier mit gutem Beispiel voran.

Hamburg hätte das natürlich auch tun können – ohne, dass engagierte Bürger eben dieses Vorgehen fordern.

 

Wenn Sie nun schreiben, es ginge diesen engagierten Menschen nur um die Stimmung im Ortsteil, um ihre Grundstückswerte oder sonstige unehrenhafte Einstellungen – fragen wir uns:

 

  • Warum wollen Sie mit solchen Äußerungen für neuen Unfrieden sorgen?
  • Warum schlagen Sie diesen rhetorischen Keil zwischen uns Hamburger?
  • Glauben Sie wirklich, dass Ihr Plan, Großunterkünfte nur für Flüchtlinge zu bauen, unfehlbar gut und alternativlos war?
  • Glauben Sie wirklich, dass alle, die sich gegen den Bau der Großunterkünfte und für bessere Integrationsbedingungen ausgesprochen haben – falsch lagen? 26.000 Hamburger?

 

 

 

 

„Seien Sie ehrlich, Herr Bürgermeister“ schrieben wir Ihnen damals in einem Offenen Brief.

 

 

Viele Hamburger haben Ihnen bisher vertraut

 

Sie haben Ihnen auch geglaubt, dass Sie aufrichtig sind, sich Herausforderungen besonnen stellen, auch, wenn diese eine „plötzliche Veränderungen des Gewohnten“ bedeuten. Diese Hamburger meinten bestimmt nicht, dass Sie dies gelassen, souverän und – ignorant – tun.

 

Wir jedenfalls hätten Ihnen gerne vertraut. Wir hätten gerne daran geglaubt, dass Sie es ernst meinen. Dass Sie die Bürgerverträge unterschreiben, weil Sie selbst die erfolgreiche Integration der Flüchtlinge unbedingt erreichen wollen. Mit uns gemeinsam.

 

 

Wir hätten heute gerne gesagt:
„Unser Bürgermeister steht zu seinem Wort – und hält sein Wort.“